Früher war definitiv nicht alles besser! Mittlerweile sind die Themen Hochsensibilität, Introversion und Schüchternheit gesellschaftsfähig und somit auch Menschen, die üblicherweise weder laut noch präsent ins Rampenlicht springen. Das ist erfreulich für einen Menschenschlag, der als eher unscheinbar bis unsichtbar galt.
Hochsensible, Introvertierte und Schüchtern sind keineswegs kauzige Menschen, die nur in ihrem Elfenbeintum leben. Aber sie verbringen ungern Zeit in engen Räumen mit einer Menge anderer Menschen, die sie sich nicht ausgesucht haben. Weiterbildungen aber auch Seminarwochenenden in der Freizeit bringen für sie also eine Menge Stressfaktoren mit sich. Zu viele Eindrücke, zu wenig Rückzugsraum und oft zu viel Wucht von anderen, die nicht an ihnen abperlt. Auf bekanntem Terrain mit Kollegen, Kunden und im Freundeskreis klappt es meist besser, weil sich ein bestimmter Umgang etabliert hat.
Onlinekurse, virtuelle Weiterbidung und Austausch sind also eine Bereicherung für unsereins. Was genau macht die Attraktivität aus?
Der passende Moment
Das Thema ist total spannend und man selber überglücklich, dass der Referent ein Seminar gibt. Aber wenn es soweit ist, dann kann der Wohlfühlmoment dazwischen funken. Dies ist keineswegs der innere Schweinehund, der für unbedingte Entspannung plädiert. Das Thema verblasst bei der Vorstellung jetzt rausgehen zu „müssen“, es ist einfach der falsche Moment für Öffentlichkeit, neue Eindrücke und neue Menschen. Beim Selbstlernkurs kann man die Bearbeitungszeit nach eigenen Bedürfnissen komplett frei wählen, aber auch feste Onlinekurse bieten zeitliche Spielräume, um den für sich passenden Moment zu nutzen. Es ist auch kein Problem, wenn man mit der Bearbeitung startet und feststellt jetzt geht es nicht, dann macht man zu einem anderen Zeitpunkt weiter. Virtuelle Angebote können in genau den passenden Momenten genutzt werden.
Meine Zeit
Das Thema Zeit spielt noch eine weitere Rolle. Feste Kurszeiten, feste Pausen – darauf kann man sich einlassen. Wer aber stark nach seinem eigenen Rhythmus lebt, braucht seine eigenen unreglementierten Pausen und möchte sie auch frei, ohne Rechtfertigung und ohne Gruppenzwang verbringen. Vielleicht hat man auch grad gar keine Lust auf eine größere Pause und möchte lieber häufiger kurze Auszeiten haben. Diesem Bedürfnis kann man perfekt in der eigenen Umgebung nachgehen. Dünnhäutige Menschen können bei Onlinekursen viel besser nach ihren eigenen Phasen arbeiten ohne sich erklären zu müssen.
Geräusche, Licht und Luft
Hochsensible Menschen haben ein stärkeres Empfinden für äußere Einflüsse. Das gilt für die Räumlichkeiten, die Geräuschkulisse, aber auch Gerüche und Lichtverhältnisse. Ein muffiger Raum und Gebrabbel anderer kann natürlich jeden nerven, für dünnhäutige Menschen ist aber zu schnell das Maß voll und sie können dann ungemütlich werden. Außer Haus lassen sich solche Einflussfaktoren weniger steuern als in der eigenen Umgebung. Das eigene Zuhause bietet somit einen Wohlfühlfaktor und sensible Menschen können sich dort besser auf die Inhalte konzentrieren und sind damit auch deutlich gelassener im zwischenmenschlichen Umgang.
Menschen
Neben der Zeit und den äußeren Faktoren spielen die Menschen eine große Rolle. Unter Leuten zu sein, die man sich nicht ausgesucht hat an Orten, die man nicht selber gestalten kann, führt für stark sensibilisierten Menschen schnell zu einem Stresscocktail. Hier spielen auch schlechte Erfahrungen aus anderen Veranstaltungen oder der Schulzeit mit ein. Bereits ein Zuviel an physischer Nähe zu anderen kann unangenehm sein. Dünnhäutige Menschen sind gute Zuhörer, nehmen dabei aber zuviel auf, stellen sich oft in den Hintergrund und vergessen sich und ihre Bedürfnisse dabei. Beim virtuellen Austausch ist die Abgrenzung automatisch und jeder kann gezielt lesen und reagieren wenn er es wirklich möchte.
Austausch mit anderen
Auch Introvertierte sind keine Inseln, sondern möchten den Austausch mit anderen. Bei Kursen gibt es also bereits ein gemeinsames Interesse über das man sich gut unterhalten kann. Allerdings machen ruhige Menschen angesichts der Stressfaktoren von außen schnell die Schotten dicht und haben oft keine energetischen Kapazitäten mehr, um sich auf andere einzulassen. Und mit wem auch, denn außer den eher lauteren Gesellen sehen sie oft lediglich sehr verschlossene Menschen um sich, denen es möglicherweise ähnlich geht wie ihnen, die aber wenig einladend wirken. Bei Onlinekursen dominiert ganz stark das Thema und es wird weniger ein Revier abgesteckt und sich positioniert. Die Stressfaktoren sind deutlich reduziert, so dass eher ein Austausch stattfinden kann, bei dem man schnell und unkompliziert feststellt, ob man ihn vertiefen möchte.
Sie verbringen ungern Zeit mit anderen Menschen, die sie sich nicht ausgesucht haben Klick um zu TweetenEs gibt mittlerweile eine Menge an Literatur, Selbsttests und natürlich auch Onlinekurse zu genau diesen Themen. Möglicherweise sind Hochsensible, Introvertierte und Schüchterne also auch eine neu entdeckte Zielgruppe. Und diese Angebote sorgen auch für eine größere Sichtbarkeit der neuen Dünnhäutigen. Man darf gespannt sein, wie sich das Thema in der Öffentlichkeit weiter entwickeln wird.
Eva Peters ist bekennende Anhängerin von Onlinekursen. Hauptberuflich ist sie Marktforschungsberaterin und hat viele unterschiedliche Interessen. Daher freut sie sich auf Onlinekurse nahezu aller Art.
Liebe Eva, ich habe deinen Artikel mit Interesse gelesen. Du schreibst wunderbar klar und eindrücklich.
Mir selbst ist es wichtig, dass wir auch Orte schaffen, die Hochsensiblen Menschen, (Künstlerischen Menschen, Menschen mit feinen Sinnen, Menschen mit nachklingenden Verletzungen) ein direktes Miteinander der Achtsamkeit bereitstellen. Ich bin der Ansicht, dass ein direktes Miteinander noch ganz anders schützt und menschlich nährt als ein Treffen, Lernen und Austauschen übers Netz.
In meinem „Frühlingsgarten“ ist so ein Ort gewachsen. Wir machen dort vorrangig Taiji, Qi Gong und Shiatsu, es gibt dort u.a. auch Gespräche, Tanzen und Klangmeditationen. Ich beobachte, dass Menschen, die einen gröberen, lauteren Umgang pflegen möchten in meinen Kursen nicht verweilen. Diejenigen die da bleiben entspannen immer mehr, weil sie die Erfahrung machen, dass ihre Grenzen nicht überfahren werden: nicht mit Krach, nicht mit aufdringlichem Reden, nicht mit Ratschlägen, nicht mit ungewollten Berührungen. Das ist für viele eine Oase, in der sie aufatmen. Sie erleben sich als goldrichtig so wie sie sind. Solche geschützten Orte kenne ich persönlich zu wenige. Da wird mir deine Sympathie für webbinare nachvollziehbar. Bestimmt habe ich den Frühlingsgarten aufgebaut, weil mir ein solcher Ort fehlte. Mit meinem Kommentar möchte ich dafür plädieren, die leibhaftige Einsamkeit bei Seminaren vor dem Bildschirm nicht zu groß werden zu lassen. Ich kenne feine Menschen, die sich so in ihr Nest und vor den Computer zurück gezogen haben, dass ich weinen könnte.Wir brauchen gerade als feine, sensible Menschen auch die Erfahrung, dass es ein direktes, respektvolles, weder Sinne noch Seele überfahrendes Miteinander gibt, in dem die Geborgenheit in der Gemeinschaft wächst.
Liebe Alena,
danke für Deinen Kommentar. Definitiv sollte das Leben nicht nur hinter dem Bildschrim stattfinden. Es ist aber ein guter Schritt Kontakte zu knüpfen, die man im echten Leben vertiefen kann – ganz nach seinem Gusto.
Es darf auch gerne mehr Oasen wie den Frühlingsgarten geben, um die passenden Menschen und ihr Interessen zusammen zu bringen.
Viele Grüße
Eva
Hallo Eva,
danke für diesen Artikel. Du hast mir klar gemacht, dass ich mit meinem Online-Kurs auch viele Introvertierte anspreche. Und warum auch ich gerne an diesem Lern-Konzept teilnehme.
Ich gehe gerne auf Seminare, brauche dort aber auch meine Rückzugsmöglichkeiten. Vielleicht überarbeitete ich nochmal meine Positionierung.
Lieben Dank,
David
Hallo David
danke! Deine Positionierung ist doch wunderbar! Gerade im kreativen Bereich ist meiner Erfahrung nach die Hemmschwelle zum Zeigen der eigenen Werke etwas höher, online gibt es einen gewissen Schutzraum zuhause.
Viele Grüße
Eva
Eben, auf diesen Schutzraum setze ich. Aber ich ermutige die Teilnehmer während des Kurses mehr und mehr ihre Werke auch draussen zu zeigen.